EM Finale

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ghusi
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Registriert: Mi 21. Dez 2011, 17:03

Re: EM Finale

Beitrag von ghusi »

Erst einmal ist der Gedanke an Deutschland für viele hier geborene Menschen einfach nur ein schönes Gefühl. Ein Gefühl aber für letztendlich etwas „Selbstverständliches“, selbstverständlich ist man Deutsche_r, warum sollte man das nicht auch sagen. Diese Emotion währt ewig, nicht so vergänglich wie beispielsweise die zu einem Menschen. Das feste Gefühl, selber endlich mal vorzukommen und nicht nur Mrs. oder Mr. Unwichtig zu sein, die_der innerhalb von 80 Jahren die Welt ohne Spuren wieder verlässt. „Wir“ hinterlassen große Spuren in der Geschichte.

Internationale Fußballmeisterschaften sind für viele das Spektakel, wo sie dieses Gefühl, diesen „nationalen Schauer“, das erste Mal in ihrem Leben spüren. Leute, die dieses nationale Spektakel stören, die vielleicht einfach nur für ein anderes Team fiebern als das von allen anderen „natürlich“ gewählte, gelten schnell als komisch. Gerade war noch alles nur ein Spiel und Spaß, schon herrscht eine seltsame Verhärtung bis hin zur krassen Aggressivität beim Gegenüber. Man dürfe doch wohl noch feiern, diese Verkrampftheit mit Deutschland solle auch einmal aufhören, Bevölkerungen in anderen Ländern würden das doch auch machen. Außerdem sei so eine Ablehnung nun auch wieder nur „typisch deutsch“ und dass das alles nicht „rechts“ sei, zeige doch, dass auch viele, die (oder deren Eltern) hier mal aus anderen Ländern herzogen, das auch machen.
Hier zeigt sich, dass auch all die scheinbar nur Party-Machenden genau wissen, dass es hierbei nicht einfach nur um ein Spiel geht. Es geht um mehr. Und genau dieses Mehr kritisieren wir. Sicherlich ist Männerfußball als Ort, wo Typen noch richtige Typen sein dürfen mit all dem doofen Rumgemacker, wo Schwule als seltsam bis abstoßend gelten, Frauen höchstens als Spieler-Frauen=Trophäen eine Rolle spielen und Konkurrenz, Körperideale & eklige „Tugenden“ gepriesen werden, schon als solches ein Problem. Aber hier soll es um das „Mehr“ bei einem Wettstreit von Nationen gehen.

Das erste Problem bei der Diskussion mit Deutschland-Fans während der WM ist jedoch oft, dass sie so tun, als wüssten sie nichts von diesem „Mehr“. Es sei doch alles nur Spaß und was ich denn dagegen habe, schallt es einer_m entgegen. Wer die gesellschaftliche Norm(alität) auf ihrer_seiner Seite hat, kann Kritik einfach abtropfen lassen, indem er_sie sich auf diese Normalität als „selbstverständlich“ und „natürlich“ bezieht. Aber: Was tun? Ich würde die Person begründen lassen, Beweislastumkehr! Wie sie es sich denn erklärt, dass hier zufällig alle für Deutschland sind und nicht für das Team, das schöner spielt. Dass schon vor dem Spiel klar ist, für wen die Leute brüllen? Und schnell wird kommen: Warum Du Dich denn nicht auch für die „eigene Nation“ erwärmen würdest, das sei doch „Dein Land“. Was daran stimmt, ist, dass die Leute, die hier wohnen, sehr oft auch den Pass dieses Landes besitzen. Das heißt, es ist ihnen erlaubt, hier zu leben und zu arbeiten. Wenn sie keine Arbeit finden, ist es dann eine Behörde „Deines Landes“, die sie nervt und zu irgendeiner Arbeit zwingt. Es ist „Dein“ Land, das einer_m eine Welt voller Konkurrenzsituationen anbietet (Rückgabe ausgeschlossen), das in Kindergarten und Schule verständnisvoll lehrt oder auch nur einprügelt, dass mensch sich anstrengen muss um zu überleben. So ist z.B. der Sportunterricht dabei für „die Anstrengungsbereitschaft und die Erfolgszuversicht besonders bedeutsam“, wie der Lehrplan des übrigens rot-rot regierten Landes Berlin weiß. Das alles, weil der „eigene Staat“ sich gegen andere Nationen behaupten will, „Exportweltmeister“ werden will oder anderes und ich dummerweise auch noch davon abhängig bin. Und wenn „Dein“ Land beschließt, dass nun irgendein anderer Staat(enbündnis) gerade der „Feind“ ist und die Berufssöldner_innen nicht mehr ausreichen, darf ich mich auch noch totschießen lassen, coole Sache das.

Klar, so wird es der „Deutschland-Fan“ nicht ausdrücken, für sie_ihn ist das erstmal nur ein großes Glück, hier leben zu dürfen. Dankbar sein solle man dafür, anderswo wäre es doch noch schlimmer und immer nur klagen führe zu nichts. Manchmal wird dann noch drangehängt: „Geh doch woandershin“. Aber warum sollte ich von meinen Freund_innen weggehen, in anderen Ländern ist es ja auch nicht anders. Lieber versuche ich doch, mit diesen zusammen das Leben hier für mich und andere schön zu machen.
Gleichzeitig steckt in dieser Sehnsucht nach dem deutschen „Wir“ genau auch all die oben beschriebene Erfahrung drin. Wenn die Lehrerin Frau Bollinger nach der WM 2006 in das Poesiealbum meiner Kusine in der Rubrik „Das sollte es öfters geben“ schreibt: „Menschen, die sich so freuen können wie jetzt bei der Fußball-WM und alle so freundlich zueinander sind“, dann weiß sie, dass das sonst anders ist. Dass Leute sich normalerweise an der Supermarktkasse anrempeln, in der Klassenarbeit einen nicht abschreiben lassen, auf der Arbeit mobben, permanent sich in Konkurrenz sehen, weil sie es sind, die die Ellenbogen ausfahren und sich über die ausgefahrenen Ellenbogen der_des anderen beklagen. Das alles soll dieses „Wir“ vergessen machen. Da würde ich doch lieber diese Konkurrenz abschaffen, als sie für einen Monat alle zwei Jahre notdürftig mit Bier und Fanmeile zu verkleistern.

Während der WM wurde von linksliberaler Seite eingewandt, dass doch gerade die migrantische community die Lappen in Schwarz-Rot-Gold aufhängen würde. Das stimmt. Was aber kein Zeichen ist, wie schön das alles ist, sondern eher aufzeigt, wie krass Deutschland zu diesen Migrant_innen war und ist. Denn das ganze Fahnenschwenken ist oft ein verzweifelter Versuch, endlich dazuzugehören. Verzweifelt, weil klar ist, dass sie spätestens nach der WM wieder die Leute sind, die höchstens mit der Müllabfuhr betraut werden. Und die, auch wenn sie einen besseren Job ergattern konnten, eben doch irgendwie „fremd“ und „anders“ bleiben – auch wenn sie hier geboren sind und einen deutschen Pass haben. Übrigens ein recht altes Phänomen, dass Menschen, die in einer Nation als nicht zugehörig angesehen wurden, sich besonders anstrengen, ihren Nationalismus zu zeigen. Und falls sie doch für das Land, aus dem sie oder ihre Eltern herzogen, fiebern (übrigens auch nicht weniger nationalistisch), kann ihnen eben auch irgendein Holger in Hannover begegnen.
Dieses alberne „Die ‚Anderen’ tun es doch auch“ gibt es auch noch in der Spielart, dass gesagt wird, dass das Fahnenrumgeschwenke doch in „anderen“ Ländern auch üblich wäre. Das stimmt, aber ist ein Argument – für nichts. Das sagen nämlich die gleichen, die sonst immer den Satz: „Und wenn andere aus dem Fenster springen, würdest Du das auch tun?“, parat haben, wenn’s ihnen nützt. Aber in dem Argument steckt noch etwas anderes, nämlich das Bedürfnis, endlich auch eine „normale Nation“ sein zu dürfen. Das ist eine Besonderheit des „Wirs“ in Deutschland, hier muss damit umgegangen werden, dass das ja angeblich über all die Jahrhunderte existierende „deutsche Wir“ vor gar nicht allzulanger Zeit sechs Millionen Juden und siebenundzwanzig Millionen Sowjet-Bürger_innen ermordete und die halbe Welt verwüstete.

Als weiteres „Argument“ wird dann häufig vorgebracht, nicht mitzufeiern sei einfach griesgrämig. Aber wie soll ich mitfeiern, wenn ich all das oben weiß? Wenn ich weiß, dass es um mehr als nur ein schönes Spiel geht (denn dann würden sie sich über Chancen der spanischen oder italienischen Mannschaft auch freuen). Wie soll ich feiern, wenn ich weiß, dass die große Niederlage meines Lebens auf den Namen Deutschland hört? Der Staat, der mir das im konkurrierenden Verbund mit den anderen Staaten der Welt hier alles eingebrockt hat, weshalb ich, falls ich irgendwann Rente bekommen sollte, zu alt und kaputt bin, um damit noch irgendeine nette Zeit zu haben. Und bis dahin, das heißt mein Leben lang, ich mich schon am Montag aufs Wochenende freue. Wenn ich das alles weiß, warum sollte ich mich als „Wir“ mit all den Menschen fühlen, die dagegen nichts machen wollen? Die gern, wenn es ihnen gesagt wird, für den Erfolg „ihrer“ Nation den „Gürtel enger schnallen“ und mich bei alledem als Spielverderber betrachten? Die lauthals und begeistert den Namen ihrer Herrschaft rufen, deren Siege gegen die Herrschaft von anderen Menschen feiern und andere schon dafür am liebsten hauen würden, dass sie beim Gegröle von „Steh auf, wenn Du ein Deutscher bist“, sitzen bleiben? Just a game? Dieses Spiel verderbe ich gern.

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freq
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Re: EM Finale

Beitrag von freq »

kakada3000 hat geschrieben:und mit intoleranz meine ich, dass angenommen spanien gegen frankreich im finale spielt, sich keiner mehr aufregen würde, wenn menschen sich dieses spiel ansehen würden.
Doch...weil es auch nur Teil der (inter)nationalen Politik ist, die Menschen per Brot und Spielen von der aktuellen politischen Lage abzulenken.

Wer Fussball spielen will, kann ja gerne ein Fusion-Turnier auf die Beine stellen...

Aber auf den Aufhänger eines Turniers der Nationen kann ich echt kacken!
IchBins
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Re: EM Finale

Beitrag von IchBins »

wie ihr simplen Fußball, ein sportliches länderübergreifendes Turnier, zu einem Klischee von gröhlenden Fanatikern mit Rechtem Gedankengut verunstaltet ist bemerkenswert... :shock:

Noch bemerkenswerter ist die Hartnäckigkeit mit der Ihr eure geistige Haltung vertretet und völlig Argumentationsresistent auf eure "Wahrheit" beharrt..

Ist mir nu aber auch völlig Wurst :lol:

Ich werde auf der Fusion 2x 90 Min. Fussball schauen und keiner von euch wird es merken es sei denn ihr erwischt mich inflagranti...

Und das Beste: Ich hab nicht einmal ein schlechtes Gewissen... nur, zu wissen das ausgerechnet auf der Fusion Leute rumlaufen die so intollerant sind macht mich traurig
ghusi
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Re: EM Finale

Beitrag von ghusi »

Du machst mich traurig.
jonnyoptik
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Re: EM Finale

Beitrag von jonnyoptik »

:D
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hannes10001
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Re: EM Finale

Beitrag von hannes10001 »

Is doch alles Kinderkram, das ist auf der Fusion kein Public Viewing gibt, finde ich richtig, geht es doch um Kunst (Musik ist Kunst, echt jetz!). Wenn jemand privat das Spiel sehen möchte dann sollers doch machen, wo ist das Problem?

Leben und leben lassen.
hannes10001
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Re: EM Finale

Beitrag von hannes10001 »

jonnyoptik hat geschrieben::D
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Ich hoffe nen kleines Kind heult deswegen.
kakada3000
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Re: EM Finale

Beitrag von kakada3000 »

@ ghusi: toller text. du hast definitiv recht.

doch bitte vergesst nicht, dass es auch einfach menschen, wie mich gibt, die seit kindesalter fußball spielen und sehen, und einfach spaß haben spiele zu sehen, wo die besten spieler der welt spielen. und zwar nicht in reichen vereinen, sondern gemischt und fair.

ich verstehe eure argumentation total, nur finde ich es unfair, dass man hier den fußballfan verallgemeinert und leuten, die ihre sicht erklären wollen, gar nicht zu hört und nur drauf haut.

ich liebe fußball und denke und handel poltisch links. leute die andere diskriminieren gibt es überall und natürlich im fußball weit verbreitet, aber was ist mit mir? ich bin jetzt der böse.
freq
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Re: EM Finale

Beitrag von freq »

IchBins hat geschrieben:wie ihr simplen Fußball, ein sportliches länderübergreifendes Turnier, zu einem Klischee von gröhlenden Fanatikern mit Rechtem Gedankengut verunstaltet ist bemerkenswert... :shock:

[...]

Und das Beste: Ich hab nicht einmal ein schlechtes Gewissen... nur, zu wissen das ausgerechnet auf der Fusion Leute rumlaufen die so intollerant sind macht mich traurig
Richtig traurig macht es mich, das dieses extrem andere und besondere Festival immer mehr von Menschen frequentiert wird, die sich nichtmal ansatzweise Zeit nehmen, die vielfältigen dargelegten Gedanken durch den Kopf gehen zu lassen, die dem Nationalgedöns namens EM/WM gegenüber etwas kritischer denken :roll:
IchBins
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Re: EM Finale

Beitrag von IchBins »

@guhsi

Also deine Ausführungen finde ich ja recht spannend... Sogar genderfrei geschrieben ;)

Also, wenn ich dich richtig verstehe...

Alle Granzen weg... keine sportlichen Tuniere mehr... EM WM (egal welche Sportart) sogar die olympischen Spiele nebst paraolympics schaffen wir ab....

weil sie ja alle irgenwie national sind...

OK,... wenn das deine Meinung zur Lösung aller Probleme ist sei dir auch Diese gegönnt :mrgreen:

Aber dann bitte ich jetzt darum das der Zaun (auch nur eine Grenze) an der Fusion verschwindet... und bitte nicht mehr als eine Musikrichtung auf den Floors... weil die ja auch irgenwie im Konkurenzkampf stehen... (Bessere Musik.. mehr Zuhörer, mehr Umsatz an der Bar ;) ... )
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